top of page

Die vierstimmige Fuge:

Eine alte zerkratzte Schallplatte von Beethoven's 5. unter Josef Krips' Leitung im Phono-Schrank meiner Eltern war mein erster Kontakt mit der klassischen Musik. Ich empfand diesen durch die unzähligen Kratzer verschleierten Klang als die zauberhafteste Verführung meines noch sehr jungen Lebens. Und das war gut so. Ich hatte bereits zwei wirksame Mittel gefunden: Alles, was mit der Welt der Gefühle zu tun hatte, verband ich mit Musik und den Rest der Realität mit dem logischen Denken, das, was man mir später als "Mathematik" definierte. Im Laufe der Zeit wurde die Grenze zwischen diesen Polen immer undeutlicher, bis sie irgendwann während meines Mathematikstudiums an der Universität in Patras (Griechenland) ganz verschwand. Dabei half mein gleichzeitiges Studium an Konservatorien, anfangs für Akkordeon und Musiktheorie, später für Komposition.

Im Alter von 26 Jahren und nach meinem Doppelstudium fällte ich meine große Entweder-jetzt-oder-nie-Entscheidung: 1995 wurde ich an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar aufgenommen, um Dirigieren zu studieren. Seitdem interpretierte ich glücklicherweise mit einer großen Anzahl von Orchestern in Europa eine große Anzahl von unterschiedlichen Werken aus einer musikliterarischen Palette, die sich vom Mittelalter bis zum heutigen Tag ausstreckt. Dabei weihte ich mich in das Denken der größten Komponisten ein, was wiederum eine große Schule für mich und mein Komponieren war. Stetiger Begleiter war, wie immer, das mathematische Denken. Zum Beispiel gelang es mir, im Rahmen meiner Studie „Körper und Technik: Die Werkzeuge des Dirigenten zur Interpretation Neuer Musik“ während meines Aufbaustudiums (postgraduales Studium für Dirigieren) mit der Hilfe der Informationstheorie zu beweisen, dass die Zeit, die die Information vom Dirigenten bis zum Orchester benötigt, ein halber Dirigierschlag ist, was wiederum die Nützlichkeit des Unterteilens des Dirigierschlages oft in Frage stellt.

 

Als Mathematiker und Komponist wollte ich immer tiefgründige Forschung und Kunst miteinander verbinden. Xenakis wandelte einst als Mathematiker und Architekt statische („Metastaseis“, „Jalons“ etc.) und ich dagegen heute dynamische Strukturen (dynamische Systeme, Fraktale etc.) in Musik um. Dabei entdeckte ich, dass Fraktale in der Komposition Werke entstehen lassen, deren Musik nicht der Zeitachse bzw. einem zeitlichen Ablauf folgt, sondern einen Raum aus zeitunabhängiger Musik schafft, den man „betreten“ und nicht nur vernehmen kann. Diese musikalischen Fraktale weisen alle wunderbaren Eigenschaften der Fraktale der Natur (Skaleninvarianz, Selbstähnlichkeit etc.) auf. Diese revolutionäre Art des Komponierens ist ein Pinsel für die Entstehung einer neuen Dimension in der Musik und ihrer Wahrnehmung. Dabei ist es mir gelungen, meine Forschungsergebnisse durch intensive Arbeit soweit methodisch zu formalisieren und anschließend als Unterrichtsmaterial zusammenzufassen, dass jeder meiner Studen­ten, ohne ein Mathematiker sein zu müssen, sie individuell anwenden kann.

 

Parallel dazu bleibt eines der wichtigsten Prinzipien sowohl meines Unterrichts als auch meiner eigenen kompositorischen Sprache erhalten, welches besagt, dass der Klang sinnvolle Spannungsbögen und keine hohlen Effekte als autarkes Ziel aufbauen soll. Er dient dem Sinn des Werkes, wie eine durch Raum und Geschichte wohlgeformte Brücke mit Hinblick auf das Neue. Die Musiktheorie und deren Umsetzung besitzen einen hohen Stellenwert in meiner didakti­schen Arbeit. Meiner Überzeugung entsprechend soll die Lehre der Musiktheorie, von der Renaissance bis hin zur Neuen Musik, keinesfalls ein trockenes, steriles und von jeder Kreativität befreites Pflichtfach des Studiums sein, sondern sein essenzieller Bestandteil, wichtig für die künstlerische Entwick­lung der Studierenden. Die Natur des Musiktheorieunterrichts besteht darin, fachspezifische Kompetenzen zu fördern – beginnend mit dem Begreifen eines musikalischen Werkes bis hin zur eigenen Überzeugung von seiner Interpretation – und somit die künstlerische Entfaltung eines jeden Studierenden gezielt als Reflektion auf sein Musizieren zu ermöglichen. Zu meinen Stärken als erfahrener Theoretiker zählt, die verschiedenen Zielgruppen (Sänger, Instru­mentalisten, Schulmusiker, Komponisten, Dirigenten etc.) differenzierend zu behandeln und meinen Unterricht entsprechend vorzubereiten und durchzuführen. Darüber hinaus gewann ich durch meine praktische Erfahrung als Dirigent einen didaktischen Vorteil: Ich setzte mich direkt in der Praxis mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Mängeln an Theorie bzw. Gehörbildung verschie­dener Musiker auseinander. Nun setze ich all diese Erfahrungen und zusätzlichen Kenntnisse aus der Praxis in meinem Unterricht gezielt so um, dass dadurch die Aufnahmefähigkeit der Studierenden einerseits und das ergebnis­orientierte Umsetzen während des Musizierens andererseits optimal und individuell gefördert werden können.

 

Ergo: Mein Ziel ist es, das Wesen des heutigen Geschehens und Intellekts durch die Musik zum Ausdruck und die Mathematik zum Verstehen zu bringen.

 

Und so laufen die Teile meines Lebens immer weiter: Ich dirigiere, weil ich etwas mit den Menschen teilen will, ich schreibe, weil ich etwas den Menschen mitteilen will, ich lehre, weil ich die Menschen an meinem Wissen teilhaben lassen will und ich bin ein erlebender Mathematiker, weil es meine Teile in eine vierstimmigen Fuge zusammenfügt.

 


IrineosTriandafillou

 

 

"Phantasie ist wichtiger als Wissen,
denn Wissen ist begrenzt."

Albert Einstein

bottom of page